undeterminants

undeterminants

17.07.19, 14.00 – 21.00 Uhr

Strahlensaal der ehemaligen Frauenklinik der Humboldt-Universität zu Berlin

Ausstellungsplakat
unlucid © Charlotte Hansel
© graphic design by Charlotte Hansel in collaboration with Susi Hinz

undeterminants im Strahlensaal beschäftigt sich mit verschiedenen (visuellen) Ausprägungen von Entwicklungsformen und Entscheidungsprozessen – insbesondere deren (un-)linearen Verläufen – dem Einfluss von Außen sowie der Unberechenbarkeit des Fehlers und Zufalls.

Innerhalb der Mauern des Strahlensaals wurden schon immer Entscheidungen getroffen und Entscheidungsfindung ermöglicht:

Während Selmar Aschheim und Bernhard Zondek 1927 eine erste Frühtestmethode zur Schwangerschaftserkennung in der Universitätsklinik entdeckten und im Strahlensaal ihren Studierenden erläuterten, ahnten sie noch nicht, dass diese Erfindung lebensverändernd sein würde und knapp 100 Jahre später in der Anwendung der genetischen Diagnostik bei Schwangeren münden sollte.

Ausgangspunkt für die Ausstellung im Strahlensaal sind Entscheidungsprozesse und auf diese Prozesse einwirkende formgebende Faktoren, wie physikalische Kräfte, Zufälle, die Chance des Fehlers sowie greifbare und gedankliche Barrieren.

Einmal in Gang gesetzte Verläufe lassen die eben genannten Faktoren die unterschiedlichsten Formentwicklungen entstehen, und Funktionssysteme, in denen wir gefangen sind, entwickeln sich in eine scheinbar vorbestimmte Richtung.

Dennoch existieren Alternativmodelle, die sich Trends dynamisch entgegensetzen. Diese Formen metaphorischer Verläufe sollen in der Ausstellung undeterminants genauso künstlerisch visuell präsentiert werden, wie die kleinen und geheimen Entwicklungen, die ihrem Eigenleben überlassen sind.

Hierbei werden Arbeiten vorgestellt, in denen sich die Künstler*innen mit der Ästhetik des Zufalls und dem Einfluss von außen befassen, Arbeiten, in denen das Vorbestimmte und das Geleitete zum Hauptmotiv der Arbeit werden sowie Arbeiten, die an Strukturen erinnern, die scheinbar aus der Kontrolle geraten sind und nach eigenen Regeln gedeihen.

Gerade, gewunden, ungehemmt, zaghaft, brüchig und parallel zueinander können Entscheidungen und die daraus resultierenden Entwicklungen in Form übersetzt werden, wobei besonderer Fokus auf skulpturalen Objekten und audio-visuellen Medien liegt.

 

Werkliste

 

Jonas Etter

Die Arbeit von Jonas Etter thematisiert das wechselseitige Verhältnis zwischen Künstler und den von ihm verarbeiteten Materialien. In präzisen Versuchsanordnungen und in seiner Auseinandersetzung mit den materialspezifischen Eigenschaften von Tusche, Aluminiumfolie, Papier, Zucker oder Feuer ist das Moment der wohl intendierten, stets aber ungewissen „Gegenleistung” des künstlerischen Arbeitsmaterials zentral. Das Ausloten materialspezifischer Reaktionsweisen des Materials kreiert eine experimentelle Situation: „Was gibst Du mir wenn ich Dich erhitze, wenn ich Dich ausgiesse, wenn ich Dich falte?”.

 

Johanna Jaeger: unstill, 2017

Johanna Jaegers Projektion unstill beschreibt den Verlauf von Tinte in einem breiten Wasserbad. Fünfundzwanzig Tropfen dunkler Tinte werden in Wasser getropft und deren Ausbreitung über 20 Minuten in einem Panorama-Format filmisch begleitet. Anfangs verteilt sich die Farbe schnell, sodass die ursprünglichen Startpunkte verwischen und sich bald ein abstraktes Farbbild einstellt. Die an Bilder von William Turner erinnernden Verläufe verändern sich für das menschliche Auge kaum sichtbar aber wahrnehmbar. Die zunehmende Langsamkeit der Veränderung im Video steht im Gegensatz zum stürmischen Bildaufbau des sich stets wandelnden Bildes und löst einen meditativen Sog auf den Betrachtenden aus. Die Bewegung und Vermischung der Moleküle wird an einem zeitlichen Punkt, der nicht mehr im Video gezeigt wird, schlussendlich zum Stillstand kommen. Die Form der Vermischung ist eine Kombination aus berechenbaren Faktoren, wie der Dichte der Elemente und Bewegungsrichtungen, aber vor allem dem Zufall.

 

Ulrike Mohr: Kreise im Raum, 2019

Durch den Transformationsprozess des Köhlerns haben die Objekte ihre ursprüngliche Farbgebung verloren, die Details ihrer Oberfläche jedoch sind erhalten und für immer konserviert. Das physische Umgehen und Eintauchen in die räumliche Tiefe der Arbeiten ermöglicht es, die Komplexität, die Leichtigkeit und die Identität der Raumzeichnungen wahrzunehmen. Ulrike Mohr löst die Grenzen zwischen Material, Raum, Zeit und Klang zunehmend auf und schafft so andere Interpretations- und Erfahrungsräume. Im Strahlensaal zeigt die Künstlerin die ortsspezifische Arbeit Kreise im Raum, welche die Leerstelle einer fehlenden Lampe zum Ausgangspunkt einer kreisenden Raumzeichnung macht, die rhythmisch einen Klang erzeugt.

Ulrike Mohr lebt und arbeitet in Berlin

 

Anton Steenbock: Am 31. weht frischer Wind bei Mutti

Ein weißes Tischtuch, kleine Kümmelflaschen und eine laue Brise – Utensilien eines gediegenen Sonntagnachmittags am Stadtrand? Anton Steenbocks Installation Am 31. weht frischer Wind bei Mutti rezipiert diese Assoziation auf humorvolle Weise. Ein Starkstromventilator bringt über sich ein weißes Tuch zum Tanzen, gehalten von 25 Kümmerlingen, die, an Scharnieren befestigt, wie ein Windspiel zufällig erklingen. Dieser audio-visuelle Tanz stellt eigentlich ein Kräftemessen dar: Immer wieder gleicht sich das Kräfteverhältnis zwischen dem gespenstisch anmutenden Tuch und den im Kreis arrangierten Kümmerlingen aus. Diese halten die Bewegung und Form des Tuches in „Schach”. Durch den stetigen Wind angeregt, balancieren sich das Fortbewegen und das Hierbleiben hin zu einer nur leicht variablen Spanne des sogenannten Gleichgewichts. Die Installation zeigt anschaulich durch alltägliche Elemente, wie Wechselwirkungen zweier Kräfte einen Verlauf konstant halten können, was eine der möglichen Formgebungen darstellt, wenn innere und äußere Faktoren, Meinungen, und Einflüsse aufeinander treffen.

Anton Steenbock lebt und arbeitet in Berlin.

 

Armin Keplinger, Andreas greiner (A/A): Brute Force, 2017

Der Doom untersucht das Potenzial der virtuellen Realität zur Erweiterung der Definition von Skulptur. In der Luft schwebend, allseitig von der Arbeit umgeben, erlebt der Betrachtende eine schwarze Wolke, die auf ihn zurauscht und einen apokalyptischen 360-Grad-Ausblick ergibt. Die Konstruktion und Dekonstruktion dieser Form balanciert zwischen starker Abstraktion und realistischen Ansichten, was jedoch insgesamt einen reduzierten visuellen Code aus harten Schwarz- und Weißtönen verwendet. Zusammen mit dem stark pulsierenden subbassgetriebenen Soundtrack erzeugt die VR Arbeit von Keplinger und Greiner einen konstanten Strom ständiger Veränderung, dem das Publikum ausgesetzt ist. Durch die Wahl der für den erdgebundenen Menschen fremden Umgebung, des Luftraums, spricht der Doom die Faszination des Fliegens an und untersucht die bedrohlichen und ebenso erhabenen Momente der Vernichtung. Werden wir in der undeterminierten Zukunft über uns selbst fallen oder aufsteigen?

 

Armin Keplinger: |¦¦|, 2019

Die Installation |¦¦| ist eine Mischung aus virtuellem und physischem Raum, deren Grenzen verschmolzen sind, indem modernste CGI-Techniken anwendet wird und diese Räume mit tatsächlichen physischen Veränderungen verbindet. Zwei gleich große, vertikal aufgehängte Glasplatten werden langsam angehoben und auseinander bewegt. Die folgende Gegenbewegung führt zu ihrer Kollision. Obwohl der gesamte Prozess und Aufbau vollständig realitäts- und materialbezogen zu sein scheint, ist nur eine Platte physisch. Die andere und ihre Auswirkungen werden in einer komplexen virtuellen Umgebung rekonstruiert und simuliert. Die Arbeit versucht, eine Vision des utopischen Moments zu skizzieren, in dem unsere physische Realität in den umgebenden digitalen Raum eines futuristischen virtuellen (Meta-) Bewusstseins übergeht. Ein stabiles, ausgewogenes System von scheinbar gleichen Gegenstücken erlebt seinen eigenen Zusammenbruch und treibt langsam bis zum völligen Stillstand ins Chaos – indem es die Kontrolle über Naturkräfte, den Einsatz moderner Technologien und deren Kreuzreaktionen erlangt und verliert.

Armin Keplinger lebt und arbeitet in Berlin.

 

Philip Topolovac: Envisat, 2014

Beobachtungssatelliten sind hochtechnologische Apparate, die der Dokumentation, Vermessung und Erforschung der Erdoberfläche zu wissenschaftlichen und militärischen Zwecken dienen. Dem menschlichen Blick verborgen, sind sie nur als leuchtende Punkte am Firmament wahrnehmbar. Im Rahmen seiner skulpturalen und fotografischen Projekte zum Genre der Landschaftsdarstellung befasst sich Philip Topolovac in der Serie Satellitenbeobachtung (2009–2014) mit den Formen dieser Instrumente der irdischen Selbstbetrachtung. Er macht die unsichtbaren Beobachter/innen sichtbar, indem er ihre auf optimaler Funktionalität basierenden Körper zu skulpturalen Formen umdeutet. Der von der ESA gebaute Umweltsatellit Envisat war mit 25 Metern Länge der größte je gebaute Erdbeobachtungssatellit. Nach zehn Jahren Dienstzeit brach 2012 der Funkkontakt ab. Seither zieht er als Weltraumschrott im Orbit seine Kreise und wird irgendwann in der Erdatmosphäre verglühen. In Bronze gegossen wird dem verlorenen Satelliten eine dauerhafte ästhetische Präsenz verliehen.

Philip Topolovac hat in Berlin studiert. Er lebt und arbeitet in Berlin.

 

Markus Wirthmann: Salzbilder, seit 2008

Markus Wirthmanns Salzbilder verewigen einen Kristallisierungsprozess. In verschiedenen Mineralsalzlösungen werden Leinwände eingelegt. Durch das Verdunsten des Wassergehalts der Salzlösung bilden sich Salzkristalle auf der Leinwand. Hier spielen äußere Einflüsse, wie auch die eigenen Entscheidungen für den Gestaltungsprozess des Werkes eine Rolle. Der Künstler entscheidet, wann er das ungehinderte Wachstum der Salzkristalle in der Lösung stoppen möchte. Dagegen gelten Verhältnisse zwischen den Salzen in der Lösung, die Temperatur sowie Luftfeuchtigkeit als äußere und sich wandelnde Faktoren, die das Aussehen der Salzbilder ebenso beeinflussen. Es entstehen somit unterschiedliche, fast unberechenbare Bilder mit verschiedenen Formen und Farben.

Markus Wirthmann hat in Braunschweig und Berlin studiert. Er lebt und arbeitet in Berlin.

 

Künstler*innen

A/A Armin Keplinger & Andreas Greiner
Jonas Etter
Johanna Jaeger
Ulrike Mohr
Anton Steenbock
Philip Topolovac
Markus Wirthmann

 

Kuratiert von Mette Kleinsteuber und Polina Kokotov

 

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