unknown
12.07.2019, 21.30 – 00.00 Uhr
Campus Nord der Humboldt-Universität zu Berlin
unknown ist ein Performanceabend, der dem Zufall überlassen ist: Die durch einen Zufallsgenerator ausgewählten Performances kreisen thematisch um die Abgabe der Entscheidungsmacht an übernatürliche Kräfte.
Werkliste
Naz Balkaya: Biometric Hermit, 30 min
Die Performance Biometric Hermit thematisiert die Herausforderungen, mit denen sich aufstrebende Künstler*innen in der westlichen Kunstwelt konfrontiert sehen. Sie spiegelt den unformatierten und unselektierten Zustand der Millennials mit Migrationshintergrund als Außenseiter*innen innerhalb der oft rassistischen und pseudo-ermächtigenden institutionellen Strukturen. Warum marginalisieren Institutionen weiterhin Positionen, die andere Erfahrungshintergründe haben und aufgrund dessen oft nicht als der*die „ideale Kandidat*in“ gelten? Wer sind wir, wenn wir Teil der Kunstszene werden und zu wem werden wir nach dem Verlassen dieses Systems?
Beatrice Celli: Collective Rosery, 30 min
Die lange Kette aus Nüssen, Eicheln, Keramik, Mehl und Salz ist eigentlich ein riesiger Rosenkranz. Mit diesem Projekt lädt Celli die Zuschauer ein, an einem Moment des Teilens zu partizipieren. Der Rosenkranz ist Gegenstand eines intimen Rituals, dem ein fester Glauben zugrunde liegt. Auf dem Campus Nord wird es zu einem kollektiven Ritual ohne gemeinsamen Kult. Was bleibt von einem Ritual übrig, wenn es von seinem Glauben befreit ist? Neben dem Rosenkranz schuf Celli kleine Auflagen. Die Auflagen enthalten Geschichten, die sie in einer Sprache verfasst hat, die aus einer Mischung mehrerer Sprachen entstanden ist. Dadurch bilden sich absurde Texte mit evokativen und poetischen Worten, die aber keinen Sinn zu ergeben scheinen.
Yan Gi Cheng & Rei Matsushima: Do you have a question for the universe?, 30 min
Die metaphysische Teeritual-Performance versteht sich als Bedeutungsaustausch und weckt dekontextualisierte Assoziationen mit rituellen Objekten und Handlungen. Jede*r Zuschauer*in ist eingeladen das Universum zu befragen. Antworten versprechen die beiden parallel ablaufenden partizipativen Performances von Rei und Yan. Rei trinkt mit den Fragestellenden einen Tee aus in Berlin gesammelten Kräutern und Pflanzen. Die Muster in den Blattstrukturen verraten die Antworten auf die Fragen an das Universum. Jedes Mitglied der Zuschauergruppe wird ebenfalls eingeladen, an einer I Ching Lesung mit Yan teilzunehmen. Drei Münzen werden sechs Mal geworfen und die entstandenen mathematischen Hexagramme entschlüsseln die Antwort auf die Frage an das Universum. Diese beiden Rituale ermöglichen es der*m Einzelnen, Einsichten in Schicksale zu gewinnen und die Hoffnung zu stärken.
Daniel Chluba: Hasskäppchen, ongoing
Am 11. Oktober 2017 und am 06. November 2017 wurde die Hasskäppchen-Performance in Wien durch die Polizei wegen des behaupteten Verstoßes gegen § 2 Abs. 1 AgesVG, dem Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz, abgebrochen. Das Hasskäppchen wurde auf die Wache geführt. Die Personalien wurden aufgenommen, und es wurde ein Bußgeld verhängt. Gegen die Bußgelder hat der Künstler Widerspruch eingelegt. Das Verfahren ist noch nicht entschieden. Während der Performance schlüpft der Künstler weniger in die Rolle einer Frau, sondern setzt ein Zeichen gegen das Anti-Burka-Gestz mit einem zutiefst männlichen Kleidungsstück, der Pudelmütze. Das Hasskäppchen erinnert an eine Sturmmaske, Rotkäppchen, eine Burka, ein Ganz-Körper-Kondom (Die Nackte Kanone), an den Pussyhat, mit ein bisschen Pussy Riot. Das Hasskäppchen ist eine Materialisierung aus den digitalen hate posts im Internet, plus dem ganz persönlichen Hass des Künstlers.
Charlene Galea: brainwashed, 30 min
Die Aufführung inszeniert eine wahre Geschichte vom Frau-Sein und vom Einfluss der Medien darauf. Die Performance verhandelt den Blick auf andere Frauen und die Beziehung zum eigenen Körper, vor allem aber die Liebe für und den Hass auf die Werbe- und Modebranche. Kann man den Marketing-Strategien dennoch zum Opfer fallen, obwohl man bereits viel gelernt und andere versucht hat aufzuklären? Charlene Galea nutzt die sozialen Medien, ihren Körper, Sarkasmus und Humor, um Botschaften zu verbreiten und zu zeigen, was es in der heutigen Gesellschaft heißt, vor dem Spiegel und im Netz, man selbst zu sein.
Stas Ginzburg: The Annunciation, 22 min
The Annunciation, 2019 stellt eine Referenz auf die biblische Verkündigungsszene dar, die wir insbesondere aus Renaissancegemälden kennen. Erzengel Gabriel erscheint der seligen Jungfrau Maria, um ihr zu verkündigen, dass sie Jesus empfangen wird. Maria wird in der Regel mit einer über ihrem Kopf schwebenden weißen Taube dargestellt – dem Symbol des Heiligen Geistes. In der Performance The Annunciation wird die Taube durch eine Drohne ersetzt, die ununterbrochen über dem Kopf des Künstlers kreist, der in einer Pose verharrt, die an The Annunciation von Nicolas Poussin erinnert. Die übernatürliche Kraft des Heiligen Geistes verwandelt sich in eine Maschine, die in der heutigen Zeit zu einem Symbol der Unterdrückung und Überwachung geworden ist. Ihr wachsames Auge und ihre bedrohliche Präsenz kann als Mahnung an uns Beobachtete, die wir uns der Illusion der Kontrolle über unser eigenes Leben hingeben, verstanden werden.
Constantin Hartenstein: ADJUST
Ein Mann steht so lange er kann auf dem Gesicht eines anderen Mannes. Beide Männer halten sich an den Händen. Ein Musiker spielt dazu sein Instrument, solange sein Atem anhält. Die Performance führt alle Performer an die Grenzen der körperlichen Ausdauer.
Sophia Hörmann: GLOWING current moods, 30 min
Im Spannungsfeld zwischen Kontrolle und Ekstase wird die Beziehung zwischen Sein und Imagination zum rutschigen Balanceakt. In ihrer vom Eiskunstlauf inspirierten Solotanzperformance zeigt Sophia Hörmann einen Körper, der sich der Illusion von Veränderung hingibt und sich das ultimative „Glow“-Erlebnis erhofft, nur um letzten Endes der eigenen Gewöhnlichkeit etwas Ungewöhnliches zu verschaffen.
Torben Jost: Exotic Exploration, 30 min
Pepino. Banane. Passionsfrucht. Ananas. Mango. Kaki. Kokosnuss. Das schmeckt nach gerade genug Aufregung und Unbekanntem, um sich wohl zu fühlen. Die globalisierte Welt strömt emotional und ganz konkret in die Obstschale. Eigentlich verbindet diese Früchte nur wenig. Sie stammen aus unterschiedlichen Teilen der Welt und haben unterschiedliche botanische Merkmale. Exotik basiert darauf, nicht so genau darüber nachzudenken, was das eigentlich bedeutet. Exotic Exploration zeigt den Gegenversuch. Der Performer scheitert permanent daran, den Inhalt einer Obstschale zu ordnen. Immer wieder nennt er die Früchte bei ihren Namen, wieder und wieder. Macht er einen Fehler, so ordnet er sie neu an und beginnt von vorne. Auf den ersten Blick scheint der Performer in seinem obsessiven Unterfangen geleitet von natürlichen Kategorien. Die stetige Wiederholung wirft allerdings Fragen auf über die Funktion von Sprache und Benennungen und über die Macht, die in dieser Deutungshoheit liegt. So stellt sich die Frage, inwiefern ökonomische Machtstrukturen und Diskurse heute überhaupt noch von Kategorien des „Natürlichen“ getrennt werden können.
Tilman Kanitz: un|selection, 30 min
In un|selection geht es um drei transitäre Identitätsmodelle:
Die Loslösung von der Entscheidungsmacht.
Die Auflösung der Ich-Kraft.
Die Klarsicht des Publikums.
Im Verlauf der Performance wird ein Zustand erreicht, in dem die Darstellenden Projektionsflächen der Zuschauenden werden. In un|selection übernehmen die Kräfte des Publikumskörpers im Ganzen und jede materiell oder immateriell anwesende Entität durch Zufallsoperationen, anhand des I GING – Buch der Wandlungen, die Kontrolle des Geschehens. Zwei antike Resonanzkörper reagieren auf das vom Publikumskörper gesendete hyperkomplexe Frequenzcluster. In Momenten bricht diese fragil gewebte Konstruktion und es ist die Klanglichkeit einer singulären Entität zu hören.
un|selection ist die Hingabe an eine Sichtbarmachung der Frequenzen, Vibrationen und Interferenzen von Einsamkeit in Gemeinschaft.
Agnieszka Karasch: DYSHOMEOSTASIS, 30 min
Die Dyshomöostase ist eine Störung jedes sich selbst regulierenden Prozesses in der Natur. Diese Abweichung von der Stabilität führt zu neuen, für das Überleben optimierten Bedingungen. Die Performance beschäftigt sich mit dem biologischen Aspekt der Selektion – mit instinktiven Reaktionen, Kontrolle und dem Überleben des Stärkeren. Die Künstlerin lädt eine weitere Performerin ein, mit ihr eine konfliktreiche, quasi-antagonistische Handlung auszuführen und mit Körperanstrengungen wie Geschwindigkeit, Gewicht oder Druck zu experimentieren. Dabei wird dem Gegenüber der Wille des anderen aufgezwungen, das Terrain markiert und versucht, die selbstgeschaffenen Bildgebietsgrenzen zu bewahren. Das endgültige Bild wird eine Aufzeichnung dieser dynamischen Kämpfe, gegenseitigen Einflüsse und Versuche sein. Eine unerwartete und verstörte Zeichnung – übersättigt von Markierungen und Spuren.
Marja Marlene Lechner: You get what you see II, 15 min
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Feuer und Licht, nimmt dir die Sicht
Spiegel dich oh du schöne Weide
mein Auge
dein Auge
Feuer und Licht heißt Nahrung und Paarung
der Wesen mit denen du dir diese Welt teilst.
Musik ist nicht das, was man spielt,
Musik ist die Summe aller Entscheidungen, die man trifft.
Und die trifft jeder anders.
In ihren Performances singt Marja Marlene Lechner ihre Lieder. Sie handeln vom menschlichen Scheitern, von Liebe und von Kommunikation. Lieder wie “miau”, “ich fiel die Treppe runter”, “1,2,3”, “god give us more money”, oder “Es tut mir nicht weh” verdinglichen oder versinnlichen eingeschriebene Handlungsweisen und Gefühlswelten.
Die Aufführung im Park wird eine Weiterführung ihrer Performance You get what you see (2018, STUDIOLO) sein. Durch Spiegel wird das jeweilige Gegenüber und/oder dessen Umgebung reflektiert und auf sich selbst zurückgeworfen.
Aron Lesnik: das Messer, 10 min
Ich möchte gebären aus einem Kraftakt heraus ein Messer mit kaltem Griff und Schneide.
Es wird tanzen unter dem Druck meiner Wehen.
Es wird glühen aus der Kraft meines Beckens.
Es wird Klingen meine Gedanken das Messer.
Dina Shneider: Techno Painting, 45 min
Techno Painting übersetzt den Klang Berlins in eine visuelle Sprache. Die Performerin tritt dabei in einen fließenden Zustand ein und nähert sich der Musik durch Schichten von Farbe. Die Farbe ist der intuitivste und doch bewussteste Filter der Klangschwingungen. Die Idee zur Technomalerei kam auf, als die Künstlerin im Berghain unter dem Einfluss von Substanzen stand: „Ich war frei wie nie zuvor. Ich habe mich selbst geliebt. Ich habe meine Umgebung geliebt. Und ich war mir dessen vollkommen bewusst. Die Musik war eine schamanische Trommel und ich war Teil der Zeremonie. Ich hatte das große Bedürfnis diese Erfahrung mit der ganzen Welt zu teilen. Die Lichter pulsierten über meinem Kopf. Ich konnte die kraftvollen Tanzbewegungen sehen. Ich fühlte die starke Vibration der Musik, umgeben von schönem Chaos. Ich schaute auf ein abstraktes Gemälde!”
Lauryn Youden: the more I listen to my body, the more I hear it screaming, 20 min
The more I listen to my body, the more I hear it screaming ist sowohl Krankheitsgeschichte als auch historischer Aufsatz. Der autobiografische und theoretische Text verhandelt Lauryn Youdens Erfahrung mit dem Verlauf ihrer Fibromyalgie-Diagnose und umfasst eine Auflistung eigener Sehnsüchte und Ängste sowie Einschreibungen von Ignoranz und Vorurteilen anderer, die den Zugang zu einem Raum für Unterstützung, Hilfe und Fürsorge versperren. In den Text eingeflochten ist eine historische Untersuchung des soziokulturellen Umfelds der Fibromyalgie und anderer „Frauen“-Krankheiten. Die Erforschung von Kindheitstraumata als eine der Ursachen des Krankheitsbildes fließt dabei ebenso in den Text ein wie Schlaflieder, die in den georgisch-heidnischen Traditionen als Medizin verwendet wurden.
Künstler*innen
Naz Balkaya
Beatrice Celli
Yan Gi Cheng & Rei Matsushima
Daniel Chluba
Charlene Galea
Stanislav Ginzburg
Constantin Hartenstein
Sophia Hörmann
Torben Jost
Tilman Kanitz
Agnieszka Karasch
Marja Marlene Lechner
Aron Lesnik
Dina Shneider
Lauryn Youden
Kuratiert von: Polina Kokotov und Liz Stumpf